Artenvielfalt zwischen Gleisen

Der Landschaftspark in Baumkirchen Mitte wurde 2019 in München eröffnet. Auf dem dortigen seit Jahrzehnten nicht mehr genutzten Bahnbetriebsgelände in Berg am Laim entsteht seit 2013 ein neues Stadtquartier. Knapp 13 ha ist es insgesamt groß und knapp die Hälfte davon sind als Grünfläche für einen öffentlichen Park vorgesehen. Dieser befindet sich dort, wo sich über die Jahre auf der Brachfläche ein ungestörtes Biotop entwickelt hat, das als ökologische Vorrangfläche ausgewiesen ist. Seit die alte Lok-Drehscheibe auf den noch immer zu ihr führenden Gleisen keine Züge mehr rangiert, hat sich die Natur die Fläche nach und nach zurückgeholt. Junge Birken, Faulbaum und andere Sträucher überwachsen den Schotter und bilden teils bereits dichtes Gebüsch. Auf noch gehölzfreien Schotterbereichen fühlen sich unter anderem Zauneidechsen, Schmetterlinge und seltene Heuschreckenarten wohl. Damit es so bleibt, und es nicht mit der Zeit völlig verbuscht, entfernen Landschaftsgärtner regelmäßig und ganz gezielt zu starken Gehölzaufwuchs. Nur so bleibt die Standortvielfalt auf der Fläche erhalten, die gleichzeitig auch die hohe Artenvielfalt im Biotop ausmacht. Es ist ein Mosaik aus vielen Kleinstlebensäumen, die die Fläche insgesamt so wertvoll macht. Nur leider wissen das die wenigsten.

Das Planungsbüro mahl·gebhard·konzepte aus München erhielt 2013 den Auftrag für die Entwicklung eines Stadtquartiers mit ca. 1.300 Bewohner*innen, Arbeits- und Betreuungsplätzen, Einzelhandel und öffentlichen Grünflächen. „Natur findet Stadt“ war der Plan. Die Landschaftsarchitekten haben den direkt angrenzenden Park ganz bewusst aus der naturnahen Fläche gestaltet und dabei den nostalgischen Industrielook erhalten. Sprich: verrostete Gleise, leere Kabeltrommeln, Baumstümpfe, Reste der Signalanlage und Steinaufschüttungen wurden an Ort und Stelle belassen und machen nun den besonderen Retro-Charme früherer Industriekultur aus. Ein Freiluft-Loft gewissermaßen. Dabei wurde versucht, einerseits der Historie des Geländes gerecht zu werden, die empfindlichen Lebensbereiche für Tiere und Pflanzen zu schützen und das Gebiet trotzdem Erholungssuchenden zu erschließen. Für das Ergebnis wurden die Landschaftsarchitekten 2020 mit dem Bayerischen Landschaftsarchitektur-Preis geehrt. Nur leider hat schon nach kurzer Zeit die Realität den schönen Plan vereitelt. Wie kann das sein?

Neue Partymeile?

Schon bei meinem ersten Besuch am Tag der Eröffnung habe ich mich gefragt, wie groß wohl die Versuchung sein wird, den oft nur wenige Zentimeter über dem Boden verlaufenden Steg zu verlassen. Schließlich eignet sich das unübersichtliche Gelände fast noch besser für Partys mit Lagerfeuern, Musik, Grillrosten und Bierkästen als der Flaucher. So was spricht sich schnell rum und das tat es dann auch. Der flache Steg aus Spaltbeton umschließt das Gebiet L-förmig und kann von Spaziergängern und Rad- und E-Roller-Fahrern genutzt werden. Dass es aus Biotopschutzgründen nötig ist, den Weg nicht zu verlassen, darauf wird nur an den beiden Zugängen auf einer unscheinbaren Tafel hingewiesen. Zuwenig, wie ich finde. So war der der zeitige Konflikt absehbar, dass sich die Nachbarschaft über immer mehr Lärm und Müll auf dem Gelände beschwert.

Natürlich würde auch kein Geländer entlang des Steges den Zugang auf die Schotterflächen oder ins Gebüsch verhindern. Dies ist nur entlang der Rampe am Eingang angebracht. Und ein hoher Zaun wäre erst recht kontraproduktiv in einem öffentlichen Park. Aber die Frage ist, ob es in einem dicht besiedelten urbanen Raum überhaupt gelingen kann, Natur zu schützen, ohne sie abzuriegeln. Dafür ist der Nutzungsdruck vermutlich zu stark. Besonders während des Lockdowns war die Verlockung groß, sich trotz Ausgangssperre im Freien zu treffen. Und das unübersichtliche Gelände bietet dafür reichlich Gelegenheit. Damit das Parkgebiet der wachsenden Freizeitnutzung auf Dauer standhält, finden inzwischen regelmäßige Kontrollen und gezielte Ramadama-Aktionen statt.

Vorschlag: Lehrpfad einrichten

Was wäre die Alternative? Die Natur muss sichtbarer werden! Der Steg eignet sich aus meiner Sicht gut als Lehrpfad. Hilfreich ist es, dass dort inzwischen Informationstafeln auch entlang des Steges angebracht wurden und nicht nur an den Tafeln an den Eingängen. So wird deutlicher, wofür das Gelände historisch und aus Naturschutzgründen steht. Und vielleicht wird der geschichtliche Aspekt ja noch stärker sichtbar, wenn eine der letzten Lok-Drehscheiben Deutschlands als Industriedenkmal auf dem Gelände restauriert wird. Denn geschützt wird nur das, was als schützenswert erkannt wird. Damit erreicht man sicher nicht alle, die nur einen Platz zum ungestörten Feiern suchen, aber je höher die Zahl derjenigen ist, die den Park mit anderen Augen sehen, desto mehr kann der Schutzaspekt zum Tragen kommen.

Siehe auch: Beiträge in der Süddeutschen Zeitung vom 14.10.2021 und 11.08.22

 

Lok-Drehscheibe

Die alte Lok-Drehscheibe steht sinnbildlich für die frühere Nutzung als Bahnbetriebsgelände.

Ein L-förmiger Betonsteg führt um das Gelände herum

Ein L-förmiger Betonsteg führt um das Gelände herum

Hinweistafel

Informationen zum Gelände sind vorhanden, aber sie sind nicht plakativ genug.

Stefan Ondracek (CA Immo Deutschland, Foto 2.v.l.) und der Vorsitzende des Bezirksausschusses 14 Berg am Laim, Robert Kulzer (Foto rechts),

Alte Bahnschwellen werden von Gebüsch überwuchert

Reste alter Bahnschwellen werden von Gebüsch überwuchert und sind teilweise von Schotter bedeckt.