Flowers forever

Über kaum einen Bestandteil dieser Welt sind die Meinungen so ungeteilt wie über Blumen. Sie sind Sympathieträger par excellence. Man muss kein ausgesprochener Pflanzenfreund sein oder Hobbygärtnerin, um sich über einen Blumenstrauß zu freuen oder über die blühende Pracht in einem Blumenbeet. Jeder und jedem gehen beim Anblick von opulenten Blüten oder blühenden Wiesen die Augen auf. Die Vorfreude war also groß, als am 3. Februar in München blumige Zeiten begannen – das zeigte sich in der langen Schlange an Besucher*innen, die gleich am ersten Tag in die neue Ausstellung der Kunsthalle der HypoKulturstiftung drängten. Zugleich ist dies der Auftakt eines regelrechten Blütenrauschs: Denn München steht in diesem Jahr mit seinem Festival Flower power ganze 8 Monate lang im Zeichen der Blumen.

Motiv, Symbol, Ware

Flowers forever würdigt Blumensujets und ihre jeweilige Bedeutung in der Mythologie, der Religion, in der Kunst und auch ihre politische Symbolkraft. Vom Altertum bis in die Moderne spannt die Ausstellung einen blumigen Bogen natürlich mit Gemälden, Kollagen und Skulpturen, aber auch mit Herbarbelegen, wissenschaftlichen Zeichnungen, Designobjekten, Stoffen und Möbelstücken. Auszüge aus literarischen Quellen und Musik als weitere Genres zeigen, wie inspirierend Blumen in jeglicher Kunstform wirken. Sogar Künstliche Intelligenz kommt zum Einsatz, wenn räumliche Bewegungen in Echtzeit als florale Muster an die Wand projeziert werden. Thematisiert werden aber auch nüchterne Aspekte, z. B., dass Blumen als Handelsobjekte gestern wie heute eine bedeutende wirtschaftliche Rolle spielen. Anschaulich wird dies über ein Kryptokunstwerk, auf dem das Aufblühen von Tulpen vom aktuellen Bitcoin-Kurs gesteuert wird. Die vielfältigsten Exponate aus der ganzen Welt sind in der Kunsthalle zusammengetragen und es war sicher nicht leicht, für die begrenzten Räumlichkeiten die aussagekräftigsten auszuwählen. Aber bravo: Es ist den Kuratoren Roger Diederen und Franziska Stöhr gelungen!

Unerwartete Wirkung

Beim Rundgang ist es nicht nur faszinierend, die Objekte zu betrachten, über sie zu staunen und sie zu bewundern. Farben und imaginäre Düfte ziehen einen in Bann, auch wenn es in der Ausstellung (bis auf den letzten Raum) gar keine echten Blumen gibt. Mein Eindruck ist: An diesem Ort führen blühende Geschöpfe Regie und stehen nicht nur vor, sondern auch hinter der „Kamera“. Das Auge der Künstler*innen dient ihnen als Medium. Die Bilder und Objekte werden so zum Ausdruck von Verehrung, vom Versuch, in Blumen Symbole des eigenen Lebens zu sehen und sich nach der Vertreibung aus dem Paradies wieder mit der Natur zu verbinden. Nicht der Mensch verleiht der Pflanze einen Wert, es ist genau umgekehrt. Denn Pflanzen haben uns nicht nötig. Sie führen uns vor Augen, dass sie Blüten bilden, um Bestäuber anzulocken, nicht um Menschen von ihrer Anmut zu überzeugen. Wir sind nicht beteiligt an dieser Perfektion, die von der Natur geschaffen wurden in einem Hunderte von Millionen Jahre dauernden evolutionären Prozess – Pflanzen waren lange vor uns da. Die künstlerische Darstellung von Blumen ist nach meinem Empfinden auch Ausdruck eines ungestillten Verlangens nach Versöhnung und einer gewissen Demut, die sich auf den Betrachter überträgt.

Quintessenz: Zurück zur Natur

So gesehen: Danke, Flowers forever. Du hast es geschafft, dass wir unseren Platz im Universum auf diese Weise mal wieder überdenken! Dazu trägt auch der letzte Raum bei, den man fast andächtig betritt. Die begehbare Installation darin heißt Calyx, nach der botanischen Bezeichnung für den Blütenkelch. Sie besteht aus über 100 000 eigens für die Ausstellung von Münchner*innen gesammelten und getrockneten Blüten, die an langen Blumendrähten aufgefädelt wurden und nun als fragile Komposition von der Decke hängen. Die englische Künstlerin Rebecca Louise Law hat diese Idee ein Jahr im Voraus vorbereitet und kein Problem gehabt, genügend Freiwillige zu finden, die ihr beim Auffädeln helfen. Eine echte Mammutaufgabe. Sehr beeindruckend ist das Ergebnis und sehr berührend. Denn hier gelingt etwas, was für die Künstlerin essenziell erscheint: In die Natur einzutauchen, sich wieder mit ihr zu verbinden, Gefühle zu zeigen, Trost zu finden.

Weitere Infos zur Ausstellung hier

Und noch ein Tipp:
Wer die farbenfrohe und magische Kunst von Miguel Chevalier live erleben will, kann dies auch bis zum 18. Juni 2023 im Schaufenster von Ludwig Beck.