Grün und Gloria

Erholung im Grünen? Dieser Gedanke war den Münchnern im Mittelalter noch völlig fremd. Und auch im Barock und Rokoko waren Grünflächen allein Ausdruck adeligen Repräsentations-strebens. Erst Ende des 18.Jahrhunderts entdeckten die Münchner ihre Liebe zur Natur.

Gärten für alle
Die Öffnung des Hofgartens 1780 durch Kurfürst Carl Theodor war ein Quantensprung. Er fiel in die Zeitenwende vom absolutistischen Fürstentum zum modernen Staat. Und das war erst der Anfang einer neuen Epoche. Friedrich von Sckell, damaliger Stadtplaner und Gartengestalter, hatte noch ganz andere Pläne: Hinter dem städtischen Mauerring entstand unter seiner Regie etwas bis dato Einzigartiges – der Englische Garten als erster Volkspark in Europa. Wie er es geschafft hat den feinen Übergang von der barocken Gartenarchitektur der Stadt hinaus über einen naturnahen Parkcharakter bis in die freie Natur zu modellieren ist auch Jahrhunderte später noch beeindruckend.

Blickt man heute von oben auf die Stadt staunt man über große Rasenflächen, alte Baum-bestände, ein ausgedehntes Netzwerk an Grünzügen und den bunten Fleckerlteppich der vielen Kraut- und Schrebergärten. Für eine Großstadt wie München ist das nicht schlecht. Friedrich von Skell wäre vermutlich recht zufrieden. Aber der Blick täuscht. 50% der Flächen in München sind bereits versiegelt. Damit ist die bayerische Landeshauptstadt die am stärksten versiegelte Großstadt Deutschlands.

Das Erbe bewahren
Es gilt also, das kostbare Erbe Friedrich von Skells nicht weiter leichtfertig zu verspielen. Der Druck baut sich gerade von zwei Seiten auf: München soll nach willen der Stadtväter nicht viel weiter nach außen wachsen, sondern im Innern kompakter bebaut werden, Stichwort „Verdichtung“. Gleichzeitig wächst aber das Interesse der Münchner an Grünflächen und der Widerstand gegen den Freiflächenverlust. Initiativen wie Green City e.V. und Agropolis München, Freiland oder Urbanes NaturNetz München unterstützen diese Bewegung mit öffentlichen Kampagnen. Wenn auch Sie die Münchner Lebensqualität im Grünen fördern möchten, schließen Sie sich dem Grünflächenaufruf München an.

 

Impressionen vom Englischen Garten

Nördlich des mittleren Rings, in der Hirschau, durchfließen kleine Bäche mit Baumgruppen durchsetzte Wiesen, gesäumt von Ufergehölzen.  Hier kann man stundenlang durch die Landschaft spazieren, den Blick wandern lassen und sich erholen. Es gibt ein weites Netz aus Wegen, das von Spaziergängern und Radfahrern genutzt wird. Aber es fügt sich geschickt in den Park ein und stört den Landschaftseindruck nicht. Hier finden Tiere und Pflanzen noch naturnahe Refugien. Für Vögel und Amphibien, Kleinsäuger und Insekten ist das hier ein kleines Paradies. Am Ufer wachsen Seggen und Mädesüß, in den Wiesen Scharfer Hahnenfuß, Kleine Braunelle und Flockenblume. Sogar ein Wanderschäferpaar ist hier regelmäßig unterwegs.

Schafe im Englischen Garten

Schafe im Englischen Garten

Das Wirken Friedrich von Skells

Friedrich von Sckell war es auch, der die Erweiterung der Stadt nach Westen vorantrieb. Als erste Stadt in Deutschland wurde in München nämlich ein städtebaulicher Wettbewerb durchgeführt, der zu neuem Wohnraum unter Einbindung von Grünflächen und damit einer Verbesserung des Stadtklimas führen sollte. Das Ergebnis war ein neues Gesicht der Stadt. Begrünte Plätze, Vorgärten, grüne Schneisen und Freiraumflächen prägten nun die neuen Wohngebiete in der Isarvorstadt, kein Häusergewirr mehr mit engen Gassen. Der Südfriedhof, die Theresienwiese und der Alte Botanische Garten entstanden in dieser Zeit. Und auch der Brückenschlag nach Osten zeigte Folgen: Der Verlauf der Isar führte von da an mitten durch München und ihre steilen bewaldeten Hochufer waren zum städtischen Grünzug geworden.

Grüne Inseln im Industriezeitalter

Mit zunehmender Industrialisierung und insbesondere mit Gründung des Deutschen Reichs im Jahr 1871 wuchs die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes über sich hinaus. Nachbarorte wurden eingemeindet und Baulücken geschlossen. Das westliche Bett der Isar wurde reguliert, sodass die Häuser dicht an den Fluss rücken konnten. Verdichtungstendenzen gibt es in dieser Stadt also nicht erst seit gestern. Dafür blieben die Leitenwälder auf der gegenüber-liegenden Flussseite in weitgehend naturnahem Zustand. Wie hätte man die steilen Ufer auch nutzen sollen? Aber Grünräume und Erholungs-flächen wie der Luitpoldpark oder der Ausstellungspark auf der Theresienhöhe und die ersten öffentlichen Schwimmbäder Münchens wurden dankenswerterweise bei der Planung von vornherein mit berücksichtigt – dies als vorbildliches Erbe, das Friedrich von Skell der Stadt hinterlassen hat.

Aufbruch in die Moderne

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es den Münchnern allmählich eng. Der Verkehr wuchs, freie Plätze wurden der nötigen Funktionalität untergeordnet und ungenutze Freiflächen mit Wohnungen und Straßen bebaut. Am Stadtrand entstanden mehrstöckige Genossenschaftsbauten, die im Karrée um eine zentrale begrünte Hofffläche errichtet wurden. Die Innenstadt umgab ein Siedlungsring aus Ein- und Zweifamilienhäusern mit Gartenstadtcharakter. Nach der Zäsur des Zweiten Weltkriegs setzten die Wiederaufbaujahren neue architektonische Maßstäbe, unter denen sich besonders die Altstadt stark veränderte. Kaufhäuser wurden gebaut, Fußgängerzonen eingerichtet und der Verkehr kreisförmig um das Zentrum gelenkt. Außerhalb der Stadt wuchsen Trabantensiedlungen wie Neuperlach in den Himmel und die erfolgreiche Bewerbung Münchens als Olympiastadt löste einen wahren Bauboom aus: U-Bahn, Olympisches Dorf und der Olympiapark sind nur die bekanntesten Beispiele.

Seit im Jahr 1975 der Stadtentwicklungsplan verabschiedet wurde gilt in München das Prinzip: kompakt-urban-grün. So heißt es im aktuellen Stadtentwicklungskonzept „Perspektive München“. Klingt erstmal nicht schlecht, wird der Stadt aber zunehmend zum Verhängnis. Zwar wurden bei Großveranstaltungen wie der Internationalen Gartenausstellung 1983 im Westpark oder der Bundesgartenschau 2005 in Riem großzügige Grünflächen angelegt, die später zu wertvollen Naherholungsgebieten wurden. Nur werden damit die Bestrebungen der Stadt, den großzügigen Grüncharakter der Gartenstädte einem wachsenden Wohnraumbedarf durch zunehmende Verdichtung zu opfern, gern kaschiert. Auch wenn es Flächennutzungspläne mit integrierter Landschaftsplanung und Bebauungspläne mit Grünordnung gibt: Der schleichende Verlust an Gärten und öffentlichen Grünflächen im Innenstadtbereich ist unübersehbar. Das Wort „kompakt“ wird hier zum Würgegriff, zu besichtigen in der Neubauachse Pasing-Hirschgarten-Arnulfpark. Schauen wir also mal, ob das Thema Grünraumplanung in Freimann – dem neuen Stadtteil, der im Münchner Westen für 20000 Bewohner konzipiert wurde – besser gelöst wird. Vielleicht sollten sich die Planer doch hin und wieder zurückbesinnen an das Erbe Friedrich von Skells. Sie werden irgendwann daran gemessen werden.