Misteln– O´zapft is
Jetzt, nachdem das Blätterdach der Bäume die Sicht freigegeben hat, rücken sie wieder ins Blickfeld: Misteln. Für manche sind sie Zauberpflanzen, für andere Glücksbringer. Botanisch gesehen haben sie leider keinen so guten Ruf, denn Misteln sind Schmarotzerpflanzen, die ihr Leben auf Kosten anderer verbringen. Aber sind sie deshalb schädlich?
Keine Sorge, ein oder zwei Mistelpflanzen schädigen große Gehölze noch nicht. Meist besiedeln die zweihäusigen Pflanzen (d.h. es gibt männliche und weibliche Exemplare) stattliche Bäume, die bereits alterschwach oder durch ungünstige Wachstumsbedingungen gestresst sind. Misteln sind Aufsitzerpflanzen, also Halbparasiten. Sie betreiben mit ihren ledrigen grünen Blättchen auch selber Photosynthese, ziehen ihre Kraft aber überwiegend aus den Leitungsbahnen im Baumholz und haben offensichtlich viel Zeit. Die cremeweißen Scheinbeeren reifen jetzt im Spätherbst, befruchtet werden die weiblichen Exemplare aber von fliegenden Insekten bereits im zeitigen Frühjahr. Und bis die zu den Sandelholzgewächsen gehörenden Laubholzmisteln (Viscum album ssp. album) eine größere Krone und Früchte bilden, vergehen etliche Jahre.
So war das auch in unserem alten Apfelbaum. Lange habe ich mir eine Mistel darin gewünscht, denn ein bisschen abergläubig bin ich auch. Aber viele Jahre passierte gar nichts. Dann brachten uns Nachbarn einen großen Mistelzweig mit Beeren als Glücksboten zu Weihnachten vorbei, den wir an seiner roten Schleife in den Baum hängten. Misteldrosseln (oder auch andere Singvögel) haben dann offensichtlich gleich daran Gefallen gefunden, denn für sie sind die klebrigen Beeren im Winter willkommenes Futter. Und sie haben dann wohl auch versucht, sich der klebrigen Reste mittels Schnabelwetzen am Zweig zu entledigen, denn so geraten die Samen meist auf eine passende Unterlage und damit auf fruchtbaren Boden.
Erst zwei Jahre später im Spätherbst zeigte sich ein winziger verzweigter Spross, übrigens direkt über einem Meisenkasten, und der ist dann rasant weitergewachsen. Inzwischen hat er bereits Gesellschaft von einer zweiten Mistelkrone bekommen. Nun werde ich allmählich nervös. Denn wenn es stimmt, was Forscher beobachten und wovor auch der NABU warnt, dann breiten sich Misteln seit einigen Jahren in Regionen, die nicht typischerweise zu ihrem Verbreitungsgebiet gehören – und dazu gehört Bayern, zunehmend aus. Ob es am Klimawandel liegt? Jedenfalls klingeln den Obstbauern von Streuobstwiesen die Ohren, denn ein hoher Besatz mit Misteln wirkt sich in geringerem Fruchtansatz aus und kann den Baum z. B. durch die Förderung von Wucherungen und krebsartigen Geschwüren stark schädigen. Außerdem sind große Mistelbüsche ganz schön schwer und könnten instabile Zweige zum Abbrechen bringen. Das möchte ich für meinen alten Apfelbaum natürlich nicht hoffen!
Mittlerweile überlege ich, wie ich meinem Apfelbaum helfen könnte, sich der lästigen Misteln zu entledigen. Im Spätwinter, wenn ich den Baum ohnehin beschneide, ist eine gute Zeit dafür. Dann kann man den Ast mit der Mistel absägen und zwar mindestens 30 cm vom Ansatz der Saugwurzel entfernt. Nur die Mistel abzuschneiden, reicht jedenfalls nicht. Das gilt natürlich nicht nur für Apfelbäume. Auch andere Laubbäume wie Pappeln, Weiden oder Ebereschen sind mistelanfällig, andere Obstbäume offensichtlich weniger.
Der NABU freut sich übrigens auf Meldungen, wo Misteln gesehen wurden. Auf seiner Naturgucker-Seite kann man ganz einfach melden, wo man welche gesichtet hat.
Auch wenn sie mittlerweile nicht mehr so selten sind wie früher: Misteln dürfen in freier Natur nur mit besonderer Genehmigung „geerntet“ werden. Am Boden liegende Exemplare können aber bedenkenlos gesammelt werden. Ob sie dann noch Zauberkräfte haben, würden die keltischen Druiden allerdings bezweifeln. Denn nach ihrer Überzeugung durften die heiligen Gewächse nur mit einer goldenen Sichel geschnitten werden und keinesfalls den Boden berühren. So hab ich´s jedenfalls bei Asterix gelernt.